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Interview mit Chryst (20.11.2011)
Vor kurzer Zeit beleuchteten wir in unserem KOROVA/KOROVAKILL/CHRYST-Special den musikalischen Werdegang der avantgardistischen Band um Chrystof Niederwieser. Nun ist es an der Zeit, eine Bestandsaufnahme zu forcieren. Wer Interviews mit Chrystof kennt, wird ahnen, was auf ihn zukommt - doch wem der mittlerweile nur noch solo agierende Musiker noch nichts sagt, nun ja... der sollte das Hirn vorher gut durchlüften.
Hallo Chrystof, erst einmal Willkommen zurück in der Musikwelt. „WaterHells“ lag ja nun ganze zehn Jahre zurück. Wie kommt eine so lange Pause zustande? Haben KOROVA/KOROVAKILL/CHRYST in der Zeit geruht oder ging es kontinuierlich weiter mit dieser Band?
Gott zum Gruße, Chris! Neun Jahre habe ich geruht und im zehnten kehrte ich wieder. In der Tat bin ich von 2001 bis 2005 aus der Musikwelt emigriert, um mich ausschließlich auf meine wissenschaftliche Arbeit zu konzentrieren. In dieser Zeit habe ich mehrere Bücher geschrieben, eine große empirische Studie über Zeitgeistzyklen erstellt und schließlich promoviert.
2006 wurde ich wieder von den Engeln und Erzengeln heimgesucht und so lange verfolgt, bis ich wieder zur Gitarre griff, um Ihre Stimmen in Töne hinein zu erschlagen. Von da an ward ich nahezu jede Nacht heimgesucht, diese Wesen mit Klängen einzukleiden. Fast 100 Songs habe ich in dieser Zeit geschrieben – Kleider der Wesen – manche vollendet, andere nur fragmentarisch. Vor einem Jahr schließlich schaffte ich es, einen Teil der Wesen so stark zu machen, dass sie all die anderen vertrieben. So konnte ich mich voll und ganz auf sie konzentrieren, sie hegen, aufziehen, schließlich vollenden und ihnen einen Namen geben: „PhantasmaChronica“.
Du bist ja zwischenzeitlich aus Österreich weg gezogen, ich habe unter anderem von einem Umzug nach Berlin gelesen, und mittlerweile bist Du im Schwabenländle gelandet. Was waren die Gründe dafür?
Orte und Länder sind nur Illusion, Emanationen der Großen Einzeit. Was spielt es da für eine Rolle, ob ich mal hier oder mal dort in Erscheinung getreten bin? Die Erscheinung ist bloß Schein. Denn egal wo immer man auch ist, so ist man doch immer in sich selbst – und sonst nirgendwo.
Mittlerweile bist Du ja alleine die Band. Ist das auch ein Grund, weshalb Du KOROVAKILL in CHRYST umbenannt hast? Und: Ist der neue Bandname auch eine Anspielung auf Deinen Vornamen?
Auch, aber nicht nur. CHRYST ist eine Dekonstruktion des Abendlandes. Es hätte auch ein anderer Archetyp aus dem Kollektivbewusstsein sein können. Aber CHRYST ist eine der bekanntesten Figuren der Weltkultur unserer Jahrhunderte. Folglich ist er perfektes Vehikel für eine Dekonstruktion. Alle Bilder, Mythen und Vorstellungen, die mit ihm verknüpft sind, werden in ihre Bausteine zerlegt und komplett neu zusammengebaut.
Lange war er in Stein gemeißelt. Satanisten haben ihn nur umgedreht, Atheisten nur ignoriert. Aber immer noch war er derselbe. Man musste nicht nachdenken, sondern es reichte, dafür, dagegen oder gleichgültig zu sein – starre mentale Strukturen ohne Anlass zum weiteren Nachdenken. Eine Dekonstruktion hat das Ziel, diese starren mentalen Strukturen zu zertrümmern und aus den Trümmern eine neue Welt zu bauen. Sie reißt Hirnmauern nieder, löst Denkbarrieren auf und erweitert dadurch das Bewusstsein. Standard-Denkmuster funktionieren nicht mehr. Man muss eine neue Orientierung, eine neue Bedeutung für all das finden und sein eigenständiges Denken in Gang setzen.
Es hätte auch irgend eine andere Figur aus dem Kollektivbewusstsein sein können. Aber CHRYST hat noch eine andere wichtige Facette: Er provoziert und verstört Christen ebenso wie Anti-Christen, gute Spießbürger ebenso wie böse Metalheads.
Wieso nun eigentlich der Alleingang? Hatte Moritz Neuner, der schon beim Debüt „A Kiss In The Charnel Fields“ mitgewirkt hatte und auf allen folgenden Alben vertreten war, keine Zeit mehr oder trennten Euch eher die obligatorischen musikalischen Differenzen?
Moritz hat schon während der KOROVA-Zeit in zahlreichen Bands mitgewirkt, die weitaus erfolgreicher waren als wir – ATROCITY, LEAVES‘ EYES, GRAVEWORM, ABIGOR, DORNENREICH, um nur die wichtigsten zu nennen. Er hat hunderte Konzerte gespielt und dutzende Alben aufgenommen. Seit ein paar Jahren ist er vornehmlich nur noch hinter den Kulissen mit seiner Booking Agentur tätig und überlässt die Drummer-Jobs lieber jüngeren Musikern. Musikalische Differenzen gab es keine, und wir treffen uns nach wie vor regelmäßig, wenn er mit DORNENREICH in der Nähe ist. Aber alles hat eben seine Zeit.
Ursprünglich hieß die Band ja KOROVA. Das ist das russische Wort für „Kuh“ - Dir wurde die Frage in der Vergangenheit sicherlich zum Erbrechen oft gestellt, aber dennoch muss ich Dich ebenfalls mit dieser Frage quälen. Wieso ausgerechnet die Kuh als Banner?
KOROVA – das Heilige der Herde, angebetet und dennoch aufgefressen, frei auf der Alm und eingekerkert in der Fleischfabrik, Milch gebend wie die allnährende Mutter, vielen Menschen Labsal bringend und dennoch schlecht für die meisten Därme, blöd glotzend auf den Schlächter wartend, zwei Trinkhörner auf den Kopf, die sie jederzeit abnehmen kann, um sich darin selber am eigenen Euter Milch einzuschenken und diese dann zu trinken, mit dem Schwanz Fliegen verscheuchen und ewig alles wiederkäuen – KOROVA ist mehr als eine Kuh, KOROVA ist wir alle, sobald wir uns in einer sozialen Rolle befinden…
Welche Gründe hatte die Auflösung KOROVAs Anfang des Jahrtausends? Und wie kam es, dass ihr euch nur wenige Monate später umentschieden habt und es mit KOROVAKILL weiterging?
Es gab keine Umentscheidung. Alles folgte dem Großen Plan. Die Haut der Spätadoleszenz musste abgestoßen werden, um den Kern der Reife zu gebären. Es war ein Initiationsritual, welches endgültig einen Schlussstrich zog unter eine juvenile Seinsform, welche schon lange nicht mehr angemessen war. Eine degenerierte Armee von Narren wurde abgestoßen, um mit einem schlagkräftigen Stoßtrupp weiterzuziehen. All das war der Moment, als Django erstmals das Maschinengewehr aus dem Sarg geholt hat und plötzlich eine Übermacht von hundert Mannen ganz schön klein aussah…
Wieso dann später KOROVAKILL statt KOROVA?
Die wärmenden Herde der Herde wurden geschlachtet, die sozialen Rollen als tote Masken warnend in die Ecke gestellt. Die alte Haut ward zu einem Dolch ausgewachsen, der sich selber richtete. Kill Korova – KorovaKill! Denn jeder Tod ist die Geburt in eine höhere Existenz.
Man darf im Internet allerorts lesen, dass die damalige „Echowelt„-Scheibe geschrieben, aber nie veröffentlicht wurde. Sie sei zu experimentell gewesen. Inwiefern war „Dead Like An Angel„, das anstelle von „Echowelt“ als nächstes offizielles Album erschien, eine Gegenreaktion? War es überhaupt eine solche? Oder ist der Experimentalismus, den „Echowelt“ angeblich hatte, eine glatte Lüge oder eine Art nie versiegen wollendes Gerücht?
„Echowelt“ ward als Hitparaden-Album geschrieben. Minimalistische E-Gitarren und Prügeldrums errichten eine klassische, fette Soundwand. Synthie- und FX-Gitarren sorgen für Melodien. Die Stimme bellt und jammert elegisch vor sich hin, einen Ohrwurm nach dem anderen durch die Gehörgänge jagend. Meines Erachtens genau der Sound, auf den die Stadien des 22. Jahrhunderts warten. Nur leider kam das Album um 100 Jahre zu früh. „Echowelt“ ist also hochkommerziell, aber wurde versehentlich zur falschen Zeit (un)veröffentlicht. Und dereinst wird der Tag kommen, da Ihr alle Euch davon überzeugen könnt…
Nun hieß es ja bereits auf der von Dir ins Leben gerufenen Website Avantgarde-Metal.com, dass ein Release von „Echowelt“ noch immer geplant sei (siehe Artikel). Finden sich Teile dessen nun auf „Phantasmachronica“ wieder? Oder ist „Phantasmachronica“ „Echowelt„? Oder liegt „Echowelt“ nach wie vor auf Halde?
Lediglich der Song „Strangulation Alpha“ (siehe hier), einst gedacht als Bonustrack von „Echowelt“, wurde bislang veröffentlicht (auf dem Album „Dead Like An Angel“). Der Rest von „Echowelt“ lauert seither im toten Winkel eines kommenden Tages und wird dort urplötzlich hervorspringen – dann wenn Ihr es am wenigsten erwartet. Er raunt und knurrt bereits und wetzt seine tödlichen Fänge, um sich dereinst in Euren Gehörgängen festzubeißen und sie nie wieder loszulassen bis zum Tag des Jüngsten Gerichts…
Sowieso, Avantgarde-Metal.com: Mittlerweile bist Du ja nur noch Herausgeber des Magazins, aber nicht mehr (Chef-)redakteur. Gib uns doch mal ein kleinen Abriss über das Warum des Magazins - und wieso Du die chefredaktionellen Aufgaben nach langer, langer Zeit abgegeben hast.
Nach der Zeitenwende war zu beobachten, wie das Anwuchern des Digitalen Netzes immer mehr experimentelle Metal-Acts aufmarschieren ließ. Wie durch ein Tor aus der Chaoszone kamen sie eingeflogen und wurden mehr und immer mehr. Es war schlichtweg an der Zeit, diesen Heerscharen des Wahnsinns einen Hafen zu geben, eine Insel, einen Knotenpunkt in den unendlichen Weiten der Informationssuppe. So haben wir Anfang 2007 www.avantgarde-metal.com zum Leben erweckt. Zuerst war es nur ein kleiner Funke. Aber über die Monate und Jahre ist er kontinuierlich angewachsen, sodass die AGM-Crew heute 40 Mannen zählt und die Site über 20.000 Besucher pro Monat hat.
Einst wie heute gibt es einige wesentliche Grundsätze: Jeder schreibt nur, wenn er Lust, Muse und Inspiration hat. Wir schreiben nur über Alben und Bands, die wir gut finden. Jeder Artikel ist gleichzeitig Empfehlung – Alben, die in der Crew niemand gut findet, schaffen es gar nicht erst auf die Seite. Und ganz wichtig: Keine kommerziellen Verhältnisse mit der Plattenindustrie.
Mittlerweile bin ich aus Zeitgründen nur noch als Herausgeber für das Magazin tätig. Den Schritt konnte ich ruhigen Gewissens vor einem Jahr machen, weil mit aVoid ein erstklassiger neuer Captain das AGM-Schiff lenkt und eine tolle Crew von Freigeistern an seiner Seite steht.
Kommen wir aber mal auf die regulären Releases zurück. Ich fände es famos, wenn Du zu jedem der vergangenen Alben („A Kiss In The Charnel Fields„, „Dead Like An Angel“ und „WaterHells„) ein bisschen etwas erzählen könntest, beispielsweise bezüglich der Texte, der Intention des jeweiligen Albums, den Visionen, die dahintersteckten...
Ich bin doch nur ein alter Opa, der seit Unzeiten versucht, den Metal aus seiner Verfangenheit in der Verblödnis zu retten...was viele total blöd finden. Was kann ich alter Opa schon beitragen, um meine wirren vergangenen Momente zu beschreiben? Was immer ich auch mache, es erben ohnedies meine Enkel…
So lange ist es schon her, diese alten Alben. Und ich bin nur ein alter Mann, der irgendwann diese alten Alben gemacht hat. Wasimmer ich auch gedacht habe dabei, wasimmer ich auch gelitten habe – heute gibt es neue Menschen mit neuen Gedanken, die all das anders sehen, oder meist gar nicht…
Wahrscheinlich sehen die es überhaupt nicht mehr, denn es ist doch nur so ein belangloses File in zwanzig Billiarden YouTube-Files in dem ganzen Internet, wo alle nur herumlaufen, um sich selber irgendwo zu suchen – natürlich vollkommen vergeblich, denn dieser Moloch ist nur Information, ist nur Maschine, Maschine, die all die Leben antreibt, die eigentlich Maschine gar nicht wollen, aber doch willenlos ihr gehorchen und Ihre Leben verbrennen für diese Maschine, jeden Tag, jeden Abend nach der Arbeit – früher hieß es Gulag, heute heißt es Internet, diese Todesmaschinerie, der wir unsere Leben verheizen, um uns nicht mehr so einsam zu fühlen, wie wir unsagbar sind – nur CHRYST ist die Erlösung aus diesem Jammertal der dümmlichen Müllhalden belangloser Information – Information – Information – Seewolf auf der Insel – Information – Veganismus und Serial Killers – Information – was wollte ich noch gleich hier oder woimmer auch ich gerade bin – Information – Information – Information – Buchstaben, Pixel, Information, Information, eine dümmliche, maschinelle Souce, Soße, Source, Soucce von gedankenlosem Mist, der irgendwo gespeichert ist, damit die Server sich amortisieren, damit das System sich rechtfertigt und bestehen bleibt, legitimiert durch all das H2O, das wir nur so atmen ohne zu wissen, und froh darüber sind…Nur nicht aus der Tagtrance erwachen, nur nicht aus der Tagtrance erwachen, aus der Tagtrance erwachen….aus der Tagtrance ERWACHEN!
Das Gros der Menschheit scheint es offensichtlich nicht anders zu wollen – stets unterhalten zu werden, sich dabei aber lieber für das Berieseln zu entscheiden, anstatt sich geistig weiter zu entwickeln. Sie möchte schlichtweg eine einfach zu konsumierende Flut an Nichtigkeiten und vorgeblichen Sensationen und Unfassbarkeiten - oberflächliche Themen, die sich bestens dafür eignen, das eigene innere Tier namens Oberflächlichkeit zu füttern, zu verdauen und verbal wieder auszuscheiden.
Doch kommen wir von diesem semi-misanthropischen Schlenker lwieder zur Musik zurück. Was kannst Du uns zum neuen Konzeptalbum „Phantasmachronica“ verkünden?
Dasselbe! Nein, bei „PhantasmaChronica“ verhält es sich vollkommen anders. So höre einfach mal hinein, lieber Leser. Lese es nicht nur, sondern höre es auch! Erst mag es Dir etwas wunderlich erscheinen. Vielleicht gefällt es Dir auch gar nicht. Aber dann bist Du doch noch einmal neugierig. Und Du möchtest Dich nochmals dieser wundersamen Erfahrung aussetzen. Und je mehr Du hörst, desto ruhiger wirst Du. Du versinkst voll und ganz in den ewigen Weiten dieser wunderbaren Klänge. In Deinem Kopf blühen wundervolle Blumen auf, so fremdartig und doch so vertraut. Und ihr Klang duftet so wunderschön. Und mit jedem Teil von „PhantasmaChronica“ sinkst Du tiefer und immer noch tiefer hinab. Und je tiefer Du sinkst, desto wohler fühlst Du Dich. Und je wohler Du Dich fühlst, desto tiefer sinkst Du.
Du bist ganz und gar durchströmt, ganz und gar erfüllt von dieser neuen Welt. Und Du bist glücklich und zufrieden, dass es diese wundervolle Musik gibt, dass Chryst Dir diesen Schlüssel in die Pracht Deines inneren Universums geschenkt hat. Denn „PhantasmaChronica“ ist ein Geschenk, nur für Dich. Und wann immer Du die CD mit „PhantasmaChronica“ einlegst und auf Play drückst, öffnet sich abermals ein Tor zu Deinem innersten Wesenskern. Und wann immer Du eine Reise in die CHRYST-Welt unternommen hast, dieses Abenteuer in Dein Innerstes, kehrst Du glücklich und zufrieden und vollkommen entspannt zurück. Und Du weißt, dass CHRYST fortan als Dein Freund immer an Deiner Seite sein wird.
Wie lange dauerte es, das Album fertigzustellen?
Die ersten Fragmente stammen noch aus dem Jahr 2006. Insofern erstreckten sich die Arbeiten über 5 Jahre. Ich habe aber nicht kontinuierlich daran gewerkt, sondern parallel dazu an zahlreichen anderen Oden gebaschtelt. Allein Mix, Mastering und Artwork von „PhantasmaChronica“ haben 5 Monate in Anspruch genommen.
Da Du anno 2011 ganz offensichtlich Dein eigener Herr bist: Gab es außer Dir dennoch andere Musiker/innen, die auf „Phantasmachronica“ mitgewirkt haben?
Jein – ich habe zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Stimmungen verschiedene Instrumente und Arrangements eingespielt. Dadurch wurde ich viele, wurde ich meine eigenen Mitmusiker. Das funktioniert ziemlich gut. Denn einer in verschiedenen Zeiten ist im Grunde viele…
Wie entstand Das Album denn? Hast Du „Phantasmachronica“ ausschließlich am PC komponiert oder gehst Du generell anders vor?
Komponiert und konzipiert wird wie in alten Tagen mit der Gitarre im Schoss, mit Feder und Papier. Manchmal ist auch ein Handrecorder dabei, um Ergüsse zu konservieren, sozusagen als Samenbank. Erst wenn eine Passage im Kopf steht, wird sie im Studio verirdlicht. Dabei steht stets ein geistiges Bild im Zentrum – Musik, Arrangements und Texte sind nur die Ausgestaltung dieses Bildes. Der Text schält sich meist erst zum Schluss aus dem Bild hervor, wenn Musik und Gesang bereits stehen. Der Gesang beginnt mit Phantasiesprache, mit unzusammenhängenden Silben und Worten. Erst dann setzt das Bewusstsein ein und gießt mühsam die Bilder und Laute in Texte. Dabei ist die große Herausforderung, einerseits die Lautmalerei der Bilder, andererseits die inhaltliche Ebene auf einen Nenner zu bringen.
Abgesehen von den Texten findet man im Booklet keinerlei Informationen, was Credits und andere Dinge angeht. Hast Du das bewusst so veranlasst?
Ja, denn was hätte ich da auch schon reinschreiben sollen? Music by CHRYST – Lyrics by CHRYST – Produced in CHRYST Studios by CHRYST – Mixed by CHRYST - Artwork by CHRYST – Guitars by CHRYST – Vocals by CHRYST – Bass by CHRYST – Keyboards by CHRYST – Melodica by CHRYST etc. Das ware doch hochgradig albern, um nicht zu sagen grenzdebil.
Nun, es gibt allerdings auch Musiker, deren erigiertes, pulsierendes Ego langsam in sich zusammenzufallen und zu einem kümmerlichen, schlaffen Nichts zu werden droht, wenn die narzisstischen Adern in den Ego-Schwellkörpern nicht permanent. durch das Lesen des eigenen Namen in den Credits mit dem Blut der Selbstbestätigung versorgt werden.
Hm, irgendwas war im Kaffee...
Welche Gedanken schwebten Dir beim Coverartwork vor? Im Netz wurden ja gar Stimmen laut, dass das Artwork eher suboptimal sei, schlecht gephotoshopped und so weiter. Ich persönlich finde es jetzt auch eher gewöhnungsbedürftig, zumal das Backcover, das Dich als wolkenbärtigen - nun, was eigentlich? - zeigt, schon ein wenig ulkig ausschaut...
Das Artwork ist ganz bewusst auf das Elementare reduziert und setzt einen Kontrapunkt zu den herrschenden Zeitgeistnormen mit ihrer perfektionierten, anämischen Hochglanz-Ästhetik. Die rohe Form verweigert sich dadaistisch den Massenkonditionierungen. Inhalt und Symbolik hingegen weisen in surrealistischer Tradition darüber hinaus in eine andere Welt. Wenn dies den Menschen neben ein paar Fragezeichen auch ein Schmunzeln entlockt, umso besser. Jedenfalls blickt niemand gleichgültig daran vorbei, sondern jeder bleibt gedanklich daran hängen. Dem Bewusstsein wird für einen Augenblick der Anker des Gewohnten entzogen. Ob dies im Betrachter nun Gefallen oder Missfallen hervorruft, ist dabei einerlei. Jedenfalls ist es sehr amüsant zu beobachten, wie erwachsenen Menschen, die mit Patronengurten und Schuhpaste im Gesicht herumlaufen, jeglicher Sinn für Selbstironie fehlt…
Der Erlöser am Windrad, dem Rad der Transformation. Der wahngütige Allvater Jupiter betrachtet seinen unehelichen Sohn. Sein Haupt aus wallenden Wolken ist und ist nicht zugleich, ein ewig fließender Hauch der Veränderung, ewig lebend durch die Vergänglichkeit. Der rote, karge Wüstenboden für die existentialistische Geworfenheit allen irdischen Blutes. Der strahlblaue Himmel für die ewigen Weiten der höheren Sphären. Aus der roten Erde in den Himmel emporragend die Szenerien und Kulissen des Bewusstseins, Attrappen der Völker und Kulturen, der Moden und Zeitgeister, verzweifelt nach dem Himmel greifend und diesen dennoch nie erfassend. Ein weißer Raum, in dem alles beginnt und alles endet, um erneut zu beginnen. All das und noch viel mehr und doch nichts davon. Es bleibt dem Betrachter, in dieses Panorama seine eigene Welt hineinzubauen. Es gibt keine abschließende Antwort. „PhantasmaChronica“ bleibt am Ende ein Geheimnis, ein Rätsel…
Da ich ja ein In-die-Zukunft-Gucker bin: Gibt es noch weitere Pläne Deinerseits bezüglich Musik? Oder hast Du nach KOROVAKILL noch in anderen Projekten/Bands mitgewirkt, und mir ist das nur entgangen?
Ich offenbare Dir hier und heute ein Geheimnis. Am 11. September 2001 habe ich gemeinsam mit einem namhaften Freund das Projekt MARS ON EARTH auf Red Stream veröffentlicht. Da jedoch just an jenem Tag die Terroristen ins World Trade Center geflogen sind und das Album-Cover eine Collage aus der New York-Skyline und einem Vulkanausbruch zeigt, wurde das Album mehrere Monate im Presswerk zurückbehalten. Vom FBI wurden Ermittlungen eingeleitet. Die CDs wurden erst Anfang 2002 an Red Stream ausgehändigt. Und aufgrund des Covers war die CD dann auch nicht mehr verkaufbar. Jeder hat gedacht, es wäre eine plumpe, geschmacklose Anspielung auf 9/11. Dabei war das Cover bereits Monate davor fertig.
Das Album habe ich insofern vollkommen verdrängt. Erst vor kurzem ist es mir wieder eingefallen nach all den Jahren. Restexemplare gibt es mittlerweile auf www.omniversal.net.
Verlassen wir noch mal kurzzeitig den musikalischen Sektor: Du hast 2002 ja sogar ein Buch auf den Markt gebracht, und zwar „Über die magischen Praktiken des Managements“. Was kannst Du uns darüber erzählen?
„Über die magischen Praktiken des Managements“ ist ein kulturhistorischer Vergleich gängiger Management-Modelle mit magischen Denksystemen aus Antike und Mittelalter. Anhand zahlreicher Beispiele wird darin gezeigt, wie viel magisches Gedankengut sich auch in heutigen wissenschaftlichen Modellen verbirgt. Die Modemasken der Zeitgeister mögen sich ändern. Doch unter der Oberfläche der Terminologien bleibt vieles beim Alten, seit tausenden von Jahren. So lebt etwa die klassische Temperamentlehre in zahlreichen aktuellen Persönlichkeitstypologien fort. Und aus dem erdigen Melancholiker, dem Kind Saturns wird der „rationale Mensch“ bei Schein, der „Fachmann“ bei Maccoby oder der „Verfahrensstil-Manager“ bei Reddin. Der heutige Mensch mag sich gegenüber früheren Epochen als fortschrittlich sehen. Doch vieles davon ist nur Schein, Blendwerkzeug der Verwissenschaftlichung…
Wie sieht es von der anderen Seite aus? Beeinflusst Dich Literatur in Deinem musikalischen Tun?
Weniger. Sprache, Artikulation und Buchstaben bringen auf der Stelle meine innere Musik zum Verstummen. Inspirierender finde ich Filme, vor allem die surrealen oder existenzialistischen Meisterwerke von Alejandro Jodorowsky, Luis Bunuel, Salvador Dalí oder Ingmar Bergman.
Im Review kritisiere ich ja ein wenig den Mix der Stimmen, ebenso die programmierten beziehungsweise programmiert wirkenden Drums. Läuft meine Kritik vielleicht ins Leere und alles auf dem Album ist genau so, wie es gedacht war - und die Stimmen/die Drums haben genau so zu sein, aus welchem Grund auch immer?
Wenn der Gesang da oder dort etwas leiser ist, dann entweder, um die Aufmerksamkeit der Hörers auf das Arrangement zu lenken oder um eine gewisse Stimmung des Absaufens im Chaos zu erzeugen, eine Beklommenheit, das Gefühl, den Kontakt zur Welt zu verlieren. Manchmal sind auch kaum hörbare Botschaften untergemischt, welche unter der Wahrnehmungsschwelle auf das Unterbewusstsein wirken. Auf „PhantasmaChronica“ gibt es Passagen mit bis zu 50 Stimmen gleichzeitig. Da sollst Du auch gar nicht mehr jede einzelne heraushören, weil alle gemeinsam zu einem höheren Wesen verschmelzen. Ähnliches gilt für die Drums.
Wir werden ja langsam alte Säcke. Ich gehe stramm auf die vierzig zu, und wenn man schaut, dass Deine Band nun auch schon einundzwanzig Jahre auf dem Buckel hat, müsstest Du auch schon um die Vierziger-Achse kreisen. Wie nimmst Du den Metal anno 2011 wahr? Was ist und bedeutet er heute für Dich - und wie verhielt sich das früher?
Nach wie vor schätze ich die geballte Urgewalt von Metal-Musik sehr, die entfesselten Energien, die Brachialität, die pubertäre Raserei. Da hat sich in der Entwicklung auch nicht viel getan. Ob 1992 oder 2012, die Szenerien sind beliebig austauschbar. Für uns alten Opas machen die Jungen ja auch nix mehr Neues als wir, wo wir jung waren. Auch wenn die Jungen aufgrund fadenscheiniger Details glauben, sie wären doch etwas ganz anderes. Befremden und Entsetzen mit einer Prise Schmunzeln beschleichen mich einst wie heute, wenn ich mich ins uniformierte Getümmel eines Metal-Konzerts verirre. Dann erwacht auch sofort der Soziologe in mir…
Welche avantgardemetallischen Bands kannst Du mir und unseren Lesern denn so ans Herz legen? UNEXPECT und die ganzen Ascendance-Records-Bands sowie SLEEPYTIME GORILLA MUSEUM und STOLEN BABIES mal als abgehakt gelten lassend?
Alle die wir auf www.avantgarde-metal.com featuren!
Auch wenn die experimentellen Ausläufer der Musik, speziell die des Metal, mittlerweile um einiges „salonfähiger“ geworden sind, tun sich die meisten immer noch sehr schwer mit eigenwilligen, mutigen Bands. Wird die Menschheit jemals reif für Grenzenlosigkeit sein oder braucht der Mensch seine Scheuklappen einfach?
Das ist die alte Frage auf avantgarde-metal.com: Ist „salonfähig gewordene“ experimentelle Musik überhaupt noch experimentell? Oder wird sie dann per definitionem kommerziell? Die Geschichte der Moden und Zeitgeister ist ein ewiger Fluss von Öffnung und Schließung. Vollkommene Grenzenlosigkeit ist insofern ebenso eine Illusion wie die Rede von Scheuklappen. Denn früher oder später wird jede partielle Grenzenlosigkeit normiert und der Herde einverleibt. Aus den Underground Psychedelic-Pionieren der späten 1960er Jahre gingen Megastars wie PINK FLOYD hervor. Sobald die Menschheit für eine Grenzenlosigkeit reif ist, wird diese automatisch kartografiert, abgezäunt und insofern begrenzt. Und irgendwann versinkt die Norm aber wieder in Vergessenheit und öffnet sich wieder der Grenzenlosigkeit. Wenn in 2000 Jahren jemand PINK FLOYD hört, wird er dies wahrscheinlich als sehr wunderlich und fremdartig empfinden…
Das neue Album erscheint ja auf Deinem eigenen Label Omniversal Records. Gab es dennoch Plattenfirmen, die in den letzten Jahren an Dich herangetreten sind? Wenn ja: Woran sind die Verhandlungen gescheitert?
Wir hatten immer wieder Anfragen und Angebote, vor allem in Bezug auf „Echowelt“. Aber für die paar Euro, welche bei so einem Deal in der Regel rausschauen, möchte ich nicht die Verwertungsrechte meines geistigen Eigentums abtreten. Daher hat sich für mich die Frage grundsätzlich nicht gestellt, mich wie in den KOROVA-Jahren in ein Abhängigkeitsverhältnis zu begeben. Die vergangenen drei Monate haben mir aber doch gezeigt, wie viel Mistarbeit ein Label einem abnimmt. Produktionsprozesse, Logistik, Pakete packen, Pressekontakte und Vertriebsnetzwerke pflegen – das sind alles Arbeiten, die ein Label mit mehreren Bands und regelmäßigen Releases weitaus effektiver erledigen kann als ich mit meinem Einzel-Release. Das ist alles wertvolle Zeit, die ich lieber für Kreativprozesse nutzen würde. Andererseits ist es auch Gold wert, sein eigener Herr zu sein und alle Fäden in der Hand zu haben.
Wirst Du „PhantasmaChronica“, eventuell gar die älteren Sachen, irgendwann noch einmal live darbieten oder an einer Audiovisualisierung der neuen Scheibe arbeiten?
Live-Auftritte wird es sicherlich keine mehr geben. Schließlich möchte ich in Würde altern. Video hingegen ist sehr reizvoll. Da wird es in Zukunft sicher den einen oder anderen Clip geben. Erste Fingerübungen können ja bereits auf unserem Youtube-Kanal (siehe Link) betrachtet werden.
Was fällt Dir ein zu:
...unabhängigem Journalismus?
Jeder Journalismus ist zumindest von den Journalisten abhängig…
...Objektivität in Rezensionen?
Objektivität ist nichts anderes als unreflektierter Subjektivismus.
Danke! Aber weiter: Sich nicht anpassen = Arroganz?
Sich nicht anpassen = Idiosynkrasiekreditrahmen ausschöpfen.
...Musik als Kunst, Musik als Produkt?
Musik ist immer beides. Die Gewichtung liegt lediglich im Auge des Betrachters. Und je mehr Menschen die Kunst mögen, desto mehr wird sie unweigerlich zum Produkt.
...dem „Aussterben“ des physischen Tonträgers?
Wenn das Fleisch verhungert ist wird auch der Geist sterben…
Chrystof, ich danke Dir für die für uns aufgebrachte Zeit - ich könnte nun noch zig weitere Fragen stellen, aber bevor Du die nächsten Wochen dafür einplanen musst, Musikreviews.de-Fragen zu beantworten, erlöse ich Dich von der Fragenflut und überlasse die letzten Worte Dir.
Ein herzliches Dankeschön Dir, Chris, für die Fragenflut und Dir, lieber Leser, für die Leseflut, sofern Du es bis hierher geschafft hast. In dem Fall gratuliere ich Dir zu diesem vorzüglichen Lesegenuss! Und ich möchte Dir, lieber Leser, sagen: Du bist der beste Leser, den ich jemals hatte!